Es gibt so Fragen, die
will man als Student_in nicht hören. Ein Klassiker: „Was hast du schon so alles
für die Prüfung gemacht?“ Ein anderer Klassiker: „Was willst du damit später
mal machen?“ Besonders letzteres wird gern von sämtlicher Verwandtschaft gefragt
und könnte nerviger nicht sein. Wenn man auf der Familienfeier zum
vierundzwanzigsten Mal gefragt wird, diesmal von der Cousine der Großtante,
möchte man am liebsten auf den Stuhl steigen, lautstark gegen sein Glas
schlagen und in den Raum brüllen: „ICH HABE KEINE AHNUNG, WAS ICH MIT MEINER
ZUKUNFT ANFANGEN WILL!!“
Mich als
Medizinstudentin hat noch nie jemand gefragt, was ich eigentlich mit meinem
Studium anfangen will. Die meisten Lehramtsstudent_innen wahrscheinlich auch
nicht. Klar, ist ja auch logisch – wenn man irgendwas auf Lehramt studiert,
will man Lehrer_in werden. Wenn man Medizin studiert, will man Ärzt_in werden.
Bei mir geht die
Konversation meistens so:
Random Person: „Und,
was studierst du?“
Ich: „Medizin.“
Random Person: „Ach,
wie cool! Weißt du schon, worauf du dich spezialisieren willst?“
Gott, ich hasse diese
Frage. Um es gleich vorweg zu nehmen: ich habe genauso wenig eine zutreffende,
alle zufriedenstellende, konkrete Antwort darauf, wie 99% der Student_innen,
die gefragt werden, was sie mit ihrem Studium später mal anfangen wollen. Je
nach Person, die fragt, hab ich verschiedene Pseudo-Antworten. Wenn ich weiß,
dass die Person nur aus Höflichkeit oder Vollständigkeit frage, sage ich
meistens einfach, „weiß ich noch nicht“. Stimmt insofern, als dass ich mich
tatsächlich (noch) nicht für ein Fachgebiet entschieden habe. Wenn es jemand
aus der Verwandtschaft ist – meine Oma ist da immer ne gute Kandidatin – und ich
weiß, dass der- oder diejenige sich mit einer schwammigen Weiß-nicht-Antwort
nicht abwimmeln lässt, sage ich meistens, „so in Richtung Pädiatrie oder
Psychiatrie interessiert mich“. Stimmt auch. Interessiert mich. Ob ich’s später
machen will? Meine Güte, was weiß ich denn. Niemals übrigens nur eine
Fachrichtung erwähnen, sonst hat man sich weitere Fragen über diese
Fachrichtung angelacht. („Psychiatrie, ist ja spannend! Aber bestimmt auch
selbst ganz schön belastend auf die Dauer, oder?“ – Ach, halt die Schnauze.)
Wenn die Person jemand
ist, mit dem ich das Gefühl habe, diesbezüglich auf einer Wellenlänge zu sein, fällt
die Antwort auch mal ausführlicher aus. Wenn ich das Gefühl habe, dass die
Person meine Gedanken zu dieser Frage nachvollziehen kann, versuche ich
manchmal, ehrlich zu antworten, zumindest so ehrlich wie möglich, und damit
Schritt für Schritt näher an die echte Antwort zu kommen.
Der Wahrheit am nächsten
kommen würde es momentan wahrscheinlich, wenn ich auf einen Stuhl steigen, mit
dem Löffel gegen mein Glas kloppen und in den Raum brüllen würde: „ICH HABE
KEINE AHNUNG, WAS ICH MIT MEINER ZUKUNFT ANFANGEN WILL!!“
Manchmal wünsche ich
mir ein bisschen, dass mal jemand mich fragt, was ich werden will.
Das Problem an der
Frage nach meinem Fachgebiet ist, dass automatisch angenommen wird, ich weiß eh
schon, was ich werden will, nur die Feinheiten sind noch unklar. Mein Abi ist
mittlerweile über fünf Jahre her, damals war ich siebzehn. Muss ich mit
zweiundzwanzig noch voll hinter dem Berufswunsch stehen, den ich mit siebzehn
hatte?
Vermutlich erwartet das
niemand wirklich von mir. (Außer vielleicht meiner Oma.) Aber es ist nun mal
so, dass man von jemandem, der Medizin studiert, automatisch annimmt, dass
er/sie Ärzt_in werden will. Das schafft eine Art unterbewusste
Erwartungshaltung, die zumindest mir persönlich einen immensen Druck macht.
Ein Fachgebiet zu
wählen und Facharzt zu werden ist natürlich nicht die einzige Möglichkeit, die
man mit einem abgeschlossenen Medizinstudium hat. Es wird nur fast immer
suggeriert. Und nicht nur von Außenseitern. Mein Prüfer bei meiner praktischen
Gynäkologieprüfung im Juli fragte mich mit leuchtenden Augen, ob ich nicht
Gynäkologin werden wolle, oder ob mich ein anderes Fachgebiet mehr
interessiere. Die Turnusärztin, der ich am Dienstag im Unipraktikum über die
Schulter geguckt habe, wollte wissen, ob ich mich schon für einen Facharzt
entschieden habe und meinte im nächsten Atemzug, Pädiatrie würde mir bestimmt
liegen. Der Amtsarzt, bei dem ich letztes Jahr ein paar Tage hospitiert habe,
meinte zum Abschied: „Werden Sie Kinderarzt.“ Sogar meine Oma war
Krankenschwester und weiß, wovon sie redet.
Mit einer Kommilitonin
saß ich heute am Uniklinikum im Garten und wir sprachen darüber, auf was wir
uns spezialisieren wollen. Sie fragte mich: „Na, was willst du denn werden,
wenn nicht Ärztin?“ Ich wusste darauf genauso wenig eine Antwort, wie der
International-Affairs-Student, den man fragt: „Was willst du damit später mal machen?“
Ich wünschte, ich hätte eine. Ich wünschte, ich wäre so wie meine Freundin,
die, wenn nach dem Fachgebiet gefragt, wie aus der Pistole geschossen sagt: „Derma.“
Ich wünschte, ich wäre wie mein Freund, der voller Enthusiasmus für den
Arztberuf ins Studium gegangen ist und auf die gleiche Frage antwortet: „Notfall,
Unfallchirurgie, Gyn… das ist alles so verdammt spannend!“
Ich wünschte, die
gesellschaftlichen Normen würden mir mehr Entscheidungszweifel zugestehen. Ich
wünschte, ich würde mich weniger um gesellschaftliche Normen kümmern und mir
weniger Limits setzen lassen – ich wünschte, ich wüsste Alternativen.
Ich wünsche mir, dass
mich jemand nach meinem Studiengang fragt, und dann: „Was willst du später
damit machen?“ Damit ich aus Inbrunst und mit voller Überzeugung antworten
kann: „Keine Ahnung.“