Ich fange diesen Post
jetzt zum vierten Mal neu an. Vielleicht sollte ich einfach akzeptieren, dass
ich nicht hundertprozentig die richtigen Worte finden werde. Weil mich das
Thema aufwühlt. Weil es immens wichtig, aber auch immens groß und schwer ist.
Weil es mir in der Kehle festhängt und sie zuschnürt. Weil es mir Angst macht. Weil ich keine Expertin
bin und vielleicht zu wenig Wissen habe, um darüber zu schreiben.
Aber dieser Blogpost
von Alex und Georg (Beziehungstat) geht mir seit mehreren Tagen nicht aus dem
Kopf, und die Wahlergebnisse des heutigen Tages haben ihr übriges getan.
„Wir sind dankbar für
Persönlichkeiten, die sprechen“, schreiben Georg und Alex, und auch, „man muss
nicht prominent sein, um zu sprechen.“
Ich bin nicht
prominent. Mein Blog hat genau zwei Follower, und vielleicht sind das auch die einzigen beiden Menschen, die diesen Post hier lesen werden. Vielleicht nicht einmal die.
Aber ich möchte reden. Aus dem einfachen Grund, weil ich glaube,
dass egal jetzt vorbei ist. Wenn es dir zu lange egal ist, wird die
Entscheidung irgendwann für dich getroffen. Und soweit lasse ich es nicht
kommen.
Jetzt also Versuch
vier, in der Hoffnung, dass er ein bisschen kohärenter und eloquenter als seine
drei Vorgänger wird.
Es lässt sich immer
viel mit dem Satz „aber ich war’s ja nicht“ klären. Das ist mir in letzter Zeit
aufgefallen. Ich sehe erhobene Zeigefinger an jeder Ecke, und mindestens so
oft, wie sie auf jemanden hinzeigen, zeigen sie von einem selbst weg.
Nicht alle Sachsen sind
AfD-Wähler. Nicht alle AfD-Wähler sind Nazis. Nicht alle Nazis vergasen
Andersdenkende.
Und heute: Nicht NUR
Ostdeutschland. Auch Baden-Württemberg hat die AfD gewählt, und zwar nicht zu
knapp.
Das sind so Argumente,
auf die mir immer zwei Antworten einfallen. Erstens: Ja, ich weiß. Zweitens:
Warum sagst du mir das jetzt gerade?
Es ist immer ganz
einfach, es nicht gewesen zu sein. Damit gehört man sogar zur Mehrheit – noch,
gottseidank – in Sachsen-Anhalt haben heute mehr als drei Viertel der Wähler
die AfD NICHT gewählt. Das ändert nur nichts an der Tatsache, dass auch für
diese drei Viertel, die es nicht waren, die Entscheidung des übrigen Viertels
relevant und aktuell ist.
Für den Flüchtling aus
dem Kriegsgebiet, für die Muslimin mit Kopftuch, für die junge Frau, die
endlich mit ihrer Lebensgefährtin auf der Straße Händchen halten möchte, ist es
jetzt, in diesem Moment, egal, wer zu den 23 Prozent gehört und wer zu den 77.
Was nicht egal ist, ist, dass die 23 Prozent da sind. Für den Flüchtling, für
die Muslimin, für das lesbische Mädchen, und für uns alle anderen auch.
Ist das jetzt wirklich
der richtige Zeitpunkt, sich selbst davon zu distanzieren?
Wohnt ihr alle, die es
nicht waren, nicht im selben Land? Geht euch das Ergebnis nichts an, auch wenn
ihr vielleicht nicht direkt daran beteiligt wart?
Verdammt, ich sehe so
viele Anschuldigungen und Gegenanschuldigungen, und sie machen mich traurig und
wütend. Nicht ganz so traurig und wütend wie das Wahlergebnis, aber fast
genauso sehr.
Da hat in vier
Bundesländern eine Partei einen zweistelligen Prozentanteil bei den Landtagswahlen
erreicht, die blatant rechtspopulistisch ist, und wir sind alle zu sehr damit
beschäftigt, es nicht gewesen zu sein.
Ich verstehe den Frust
über Pauschalanschuldigungen. Ich verstehe den Wunsch, sich davon zu
distanzieren, wenn jemand sagt, „meine Güte, Sachsen-Anhalt“. (Sorry,
Sachsen-Anhalt, dass ihr gerade mein Beispiel sein müsst.)
Pauschalanschuldigungen sind nicht zielführend. Pauschalanschuldigungen können
sogar gefährlich sein. Ich möchte nicht ins Detail gehen, was meiner Meinung
nach alles mit dem Satz „AfD-Wähler sind halt dumm“ falsch ist, aber unter
anderem vereinfacht und verharmlost er ein sehr komplexes Thema. Wenn man sich
selbst intellektuell überlegen fühlt, nimmt man sein Gegenüber automatisch
weniger ernst. Aber wenn uns die vergangenen Wahlen wohl eins gezeigt haben,
dann dass man die AfD sehr wohl ernst nehmen muss.
Auf eine
Pauschalanschuldigung allerdings mit „nicht ALLE xyz“ zu reagieren, ist genauso
wenig zielführend. So dreht sich die Diskussion im Kreis. Niemand will es
gewesen sein. Niemand fühlt sich zuständig.
Dabei geht es alle
etwas an.
Die deutsche Politik
wandert langsam aber sicher immer weiter nach rechts. Und das ist Realität für
alle. Für alle AfD-Wähler, für alle Nicht-AfD-Wähler, für alle Nicht-Wähler.
Was man daraus jetzt
macht, ist jedem und jeder selbst überlassen.
Mir bleibt nur die
Frage, ob das krampfhafte Es-Nicht-Gewesen-Sein in irgendeiner Weise einen Benefit
bringt.
Ich weiß nicht.
Vielleicht ist dieser
Post genauso ein Zeigefinger, wie ich sie nicht mehr sehen kann. Vielleicht
sehe ich das auch alles falsch. Vielleicht ist es ja in einer Weise wichtig zu
sagen, Moment, ich war das aber nicht, und auch nicht alle Sachsen, oder alle
Baden-Württemberger, oder alle Hessen, oder überhaupt alle Deutschen.
Nur, wenn man’s nicht
gewesen ist und es trotzdem passiert – wie geht’s dann weiter? Ich glaube, das
ist im Moment die wichtigere Frage.
Vielen, vielen Dank für diesen Post. <3
AntwortenLöschenUnd wir meinen es wirklich so, wie wir geschrieben haben - absolut jede Stimme ist wichtig, und noch dazu hat das Sprechen den Nebeneffekt, dass man sich seiner eigenen Gedanken und Sichtweise zum Thema bewusster wird.
Deine finden wir sehr verständlich - und klar ist es auch irgendwie ein Fingerzeig auf etwas, aber so kann man letztlich ja so gut wie jede persönliche Meinungsäußerung verstehen. Du bleibst respektvoll, auch wenn du aufgewühlt bist; als Angriff auf jene, die gemeint sind, verstehen wir diesen Post nicht. :)
Auch dieses "Seht ihr, die Wahlbeteiligung war hoch und trotzdem ist die AfD hoch im Kurs" finden wir daneben. Nicht-Wählen macht es nicht besser. Schweigen macht es nicht besser. Und je mehr Menschen wählen, sprechen, eine Meinung haben, desto größer ist die Chance, dass rechtes Gedankengut zumindest nicht NOCH erfolgreicher wird.
Deswegen: Danke. <3