Etwa um diese Zeit im Jahr 2009 bekam ich die Gelegenheit, das Concertino in Es für Klarinette von Carl Maria von Weber mit dem Schulorchester des Gymnasiums, auf dem ich zu der Zeit war. Damals war es eine Art Tradition im Schulorchester, dass einem oder zwei Mitgliedern aus dem Abiturjahrgang die Möglichkeit gegeben wurde, ein Solostück mit dem Orchester zu spielen. Für mich war das damals eine grandiose Sache, die mit einem riesigen Motivations- und Selbstbewusstseinsschub einherging.
Das Concertino selbst mag ich bis heute sehr gerne. Eine Zeit lang war es das Stück, das ich von vorne bis hinten mit Abstand am besten kannte, mittlerweile habe ich es zu lange nicht ernsthaft gespielt, habe es aber immer noch ziemlich genau im Ohr. Mehrere Jahre später kramte ich das Concertino für das Vorspiel bei meinem aktuellen Orchester noch einmal heraus, und ich bin bis heute der Meinung, dass ich Introduktion, Thema und erste Variation (weiter kam ich nicht) nie besser gespielt habe, als damals, abends um acht beim Vorspiel für ein Uniorchester, für das ich mich bei weitem nicht gut genug fühlte.
Ich mag das Concertino, weil es typisch Weber ist – romantisch, aber nicht kitschig-romantisch, sondern in vielen Aspekten noch sehr klassisch geprägt; irgendwie linear und logisch und nett. Es ist vielleicht nicht mein liebstes Stück, das ich je gespielt habe, aber es hat mich in meiner Entwicklung und Klarinetten-Karriere bisher treu begleitet und wird in meinem Ranking der Klarinetten-Solowerke immer vor den „großen“ Weber-Konzerten und vor dem Dauerbrenner, der das Mozart-Klarinettenkonzert ist, kommen.
Ich möchte allerdings einen kleinen Bogen schlagen und den heutigen Blogpost nicht nur einem Stück widmen, sondern auch einer Person: meinem ehemaligen Musiklehrer.
Wenn ich von meinen zahlreichen musikalischen Aktivitäten in der Schule erzähle, werde ich oft gefragt, ob ich auf einem Musikgymnasium war. Nein, war ich nicht, meine Schule hatte, soweit ich weiß, keinen offiziellen Schwerpunkt. Nur eine Handvoll Musiklehrer, die ihren Job sehr, sehr gern hatten. Auf unserer Schule war es ganz selbstverständlich, dass es ein Schulorchester gab, eine Bigband, einen Chor, dass jedes Jahr für interessierte Oberstufler ein Musik-Leistungskurs angeboten wurde. Alle zwei Jahre wurde ein Musical einstudiert, an dem sicherlich ein Viertel der Schülerschaft aktiv beteiligt war.
Das Herzstück dieses Musikkollegiums war Herr S.
Herr S. übte seinen Beruf mit einer Liebe und Leidenschaft aus, die man vom durchschnittlichen Lehrer an einem deutschen Gymnasium gar nicht kennt. Ich kannte ihn zuerst aus dem Schulorchester, das er jahrelang leitete, ehe ich in der Oberstufe schließlich selbst anderthalb Jahre lang bei ihm Unterricht hatte. Im Schulorchester sammelte ich meine ersten Orchestererfahrungen, und ich werde nie vergessen, wie viel Zeit, Energie und Herzblut Herr S. in dieses Orchester gesteckt hat. Natürlich lief nicht immer alles perfekt. Zum Beispiel neigte Herr S. dazu, sich ab und zu komplett zu verdirigieren – meistens, wenn er versuchte, einer bestimmten Stimmgruppe mit seinem Dirigat zu helfen und sich dann selbst verzettelte, was darin endete, dass alle sehr verwirrt voneinander waren. Wozu Herr S. auch neigte war, sehr leidenschaftlich in der Musik aufzugehen. Dass zwischendurch aus Versehen sein Taktstock durch die Gegend flog und im Orchester oder sogar im Publikum landete, kam schon mal vor. Eigentlich machte aber genau das den Charme aus – und ein bisschen die Spannung; man wusste nie so genau, was als nächstes passiert.
Es gab so manch einen Musik- und Instrumentallehrer in meinem Leben, aber kaum jemand hat mir den Spaß und die Liebe zur Musik so nachhaltig vermittelt, wie Herr S.
Ein Happy End der Geschichte gibt es nicht… oder vielleicht doch, vielleicht das happieste aller Enden.
Herr S. ist im September 2012 verschieden, noch bevor er in eine wohlverdiente Rente hätte gehen können. Die letzte Aufführung des damaligen Schulmusicals, zwei Tage vor seinem Tod, wurde ihm via Skype ins Krankenhaus gestreamt.
Was übrig bleibt sind zahlreiche ehemalige Schüler, in deren Herzen wie eine warme, unauslöschliche Flamme die Liebe zur Musik brennt, die damals in der Schule als kleiner Funken entfacht wurde, oder als winziges Flämmchen gehegt und gepflegt und gestärkt wurde. Was übrig bleibt, ist vielleicht nichts Grandioses, was auf den ersten Blick sichtbar ist, aber dafür viele junge und nicht mehr ganz so junge Menschen, deren Leben nachhaltig geprägt und inspiriert wurde. Von jemandem, der nicht nur seine eigene Leidenschaft unglaublich gut vermitteln konnte, sondern der auch immer an seine Schüler geglaubt und ihnen vertraut hat. Der uns immer einen großen Teil der Verantwortung selbst hat tragen lassen, uns immer ernst und wichtig genommen hat, und uns trotzdem, wenn wir es brauchten, sanft und ein bisschen energisch den Weg gezeigt hat.
Das Concertino für Klarinette von Carl Maria von Weber ist, für sich selbst genommen, kein besonders emotionales Stück. Aber für mich wird es immer ein Stück Erinnerung beinhalten: an meine musikalischen Anfänge; an das erste symphonische Orchester, in dem ich gespielt habe, mag es auch noch so klein gewesen sein; und an die Person, die mir und meinen Fähigkeiten genug Vertrauen entgegen gebracht hat, um mich in einer riesigen Kirche voller Publikum mit dem gesamten Orchester im Rücken Solo spielen zu lassen.
Wo auch immer mein weiterer musikalischer Weg mich hinführt – danke, Herr S. Denn zu einem Teil ist es auch Ihr Verdienst.
#trotzdemkunst
Sonntag, 4. Dezember 2016
Samstag, 3. Dezember 2016
Musikecke: Die Moldau
In Anbetracht der fortgeschrittenen Stunde habe ich
mir für meinen zweiten Blogpost des Tages ein Stück ausgesucht, zu dem ich gar
nicht so viel zu sagen habe, weil ich es sehr schwierig finde, meine Gefühle in
Worte zu fassen. Das macht aber nichts, weil ich finde, dass man in dem Fall
die Musik für sich selbst sprechen lassen kann.
Es handelt sich um Die Moldau von Friedrich Smetana.
Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen, das Stück selbst im Orchester zu spielen. Ich kam zum ersten Mal im Musikunterricht in der Mittelstufe damit in Berührung, als wir über Programmmusik sprachen; seitdem habe ich es viele, viele Male gehört.
Nachdem ich gerade vorher über die Fledermaus geschrieben habe, kommt es mir vor, als könnte der Kontrast zur Moldau nicht größer sein. Während die Fledermaus meine Gute-Laune-Musik, mein Spaßstück ist, lege ich die Moldau auf, wenn ich etwas zum Träumen und Abschalten brauche - und manchmal, wenn ich in der Situation bin, dass ich gerne weinen möchte und einen Anstoß brauche.
Für mich ist die Moldau gleichermaßen real und fantastisch, was ein bisschen schwer zu erklären ist. Auf eine Art ist sie sehr greifbar, als könnte ich mich einfach irgendwo an der echten Moldau ans Ufer stellen und meine Hand ins Wasser halten, und die Musik würde mich von dort aus überspülen. Auf der anderen Seite hat das Stück auch etwas Surreales, etwas, was nicht von dieser Welt ist; wie ein Märchen von einem Fluss durch ein Elfenreich. Insgesamt ist die Moldau für mich pure Melancholie, und ich weiß gar nicht mal so recht, warum.
Für diesen Post habe ich die Geschichte, die das Stück erzählt, noch einmal nachgelesen, aber im Grunde hätte ich es gar nicht tun brauchen. Die Geschichte steht für mich ganz klar und deutlich in der Musik, als würde vor meinen Augen ein Film ablaufen: wie die beiden kleinen Quellen entspringen, verträumt vor sich hinsprudeln, sich schließlich zu einem Fluss vereinen. Wie der Fluss sich seinen Weg bahnt durch die imposante tschechische Landschaft. Der fröhliche Hochzeitstanz am Flussufer. Der nächtliche Reigen der Nymphen im Mondschein über der Wasseroberfläche. Die turbulenten Stromschnellen, die pompöse Ankunft in Prag, und schließlich fließt die Moldau weiter, und irgendwo in der Ferne kann man erahnen, wie sie in die Elbe mündet.
Mit Abstand mein Lieblingsmoment im Stück ist der Anfang; die kurze Introduktion und dann der Übergang ins Thema. Man kann es sich so gut vorstellen, wie am Anfang nur die Flöten in stetiger Bewegung die beiden Quellflüsse darstellen, und mit der Zeit wird die Instrumentierung immer breiter, immer fließender, bis sich bei 0:54 endlich die beiden Quellflüsse getroffen haben und dann bei 1:00 das Moldau-Thema erklingt.
Es gibt diese ganz besonderen Momente in der Musik, die einem, egal wie oft man sie gehört hat, immer wieder eine Gänsehaut verschaffen. Dies ist einer davon.
(Fun Fact: beim Schreiben dieses Posts hörte die Verfasserin das betreffende Musikstück und musste heulen. :D)
Es handelt sich um Die Moldau von Friedrich Smetana.
Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen, das Stück selbst im Orchester zu spielen. Ich kam zum ersten Mal im Musikunterricht in der Mittelstufe damit in Berührung, als wir über Programmmusik sprachen; seitdem habe ich es viele, viele Male gehört.
Nachdem ich gerade vorher über die Fledermaus geschrieben habe, kommt es mir vor, als könnte der Kontrast zur Moldau nicht größer sein. Während die Fledermaus meine Gute-Laune-Musik, mein Spaßstück ist, lege ich die Moldau auf, wenn ich etwas zum Träumen und Abschalten brauche - und manchmal, wenn ich in der Situation bin, dass ich gerne weinen möchte und einen Anstoß brauche.
Für mich ist die Moldau gleichermaßen real und fantastisch, was ein bisschen schwer zu erklären ist. Auf eine Art ist sie sehr greifbar, als könnte ich mich einfach irgendwo an der echten Moldau ans Ufer stellen und meine Hand ins Wasser halten, und die Musik würde mich von dort aus überspülen. Auf der anderen Seite hat das Stück auch etwas Surreales, etwas, was nicht von dieser Welt ist; wie ein Märchen von einem Fluss durch ein Elfenreich. Insgesamt ist die Moldau für mich pure Melancholie, und ich weiß gar nicht mal so recht, warum.
Für diesen Post habe ich die Geschichte, die das Stück erzählt, noch einmal nachgelesen, aber im Grunde hätte ich es gar nicht tun brauchen. Die Geschichte steht für mich ganz klar und deutlich in der Musik, als würde vor meinen Augen ein Film ablaufen: wie die beiden kleinen Quellen entspringen, verträumt vor sich hinsprudeln, sich schließlich zu einem Fluss vereinen. Wie der Fluss sich seinen Weg bahnt durch die imposante tschechische Landschaft. Der fröhliche Hochzeitstanz am Flussufer. Der nächtliche Reigen der Nymphen im Mondschein über der Wasseroberfläche. Die turbulenten Stromschnellen, die pompöse Ankunft in Prag, und schließlich fließt die Moldau weiter, und irgendwo in der Ferne kann man erahnen, wie sie in die Elbe mündet.
Mit Abstand mein Lieblingsmoment im Stück ist der Anfang; die kurze Introduktion und dann der Übergang ins Thema. Man kann es sich so gut vorstellen, wie am Anfang nur die Flöten in stetiger Bewegung die beiden Quellflüsse darstellen, und mit der Zeit wird die Instrumentierung immer breiter, immer fließender, bis sich bei 0:54 endlich die beiden Quellflüsse getroffen haben und dann bei 1:00 das Moldau-Thema erklingt.
Es gibt diese ganz besonderen Momente in der Musik, die einem, egal wie oft man sie gehört hat, immer wieder eine Gänsehaut verschaffen. Dies ist einer davon.
(Fun Fact: beim Schreiben dieses Posts hörte die Verfasserin das betreffende Musikstück und musste heulen. :D)
Musikecke: Die Fledermaus-Ouvertüre
Gestern musste
ich leider krankheitsbedingt eine kleine Pause einlegen – macht aber nichts,
dafür hole ich heute nach und blogge zweimal.
Nachträglich für
den zweiten Dezember habe ich mir das erste volle Orchesterwerk und einen
absoluten Dauerbrenner herausgesucht: die Ouvertüre zur Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauss.
Vorweg: Die
Fledermaus ist, meiner Meinung nach, ein großartiges Stück. Wenn ihr mal in
Wien seid und euch gern ein typisch wienerisches Kulturereignis geben wollt,
lege ich euch sehr Die Fledermaus in der Volksoper ans Herz. Die Geschichte ist
eine Verwechslungskomödie vom feinsten, absurd wienerisch, und die Musik ist
einfach schön. Einfach herzerwärmend schön. Man muss nicht mal ein großer Fan
geschweige denn Kenner von klassischer Musik sein, Strauss versteht man auch
so. Das ist einfach meine absolute Wohlfühlmusik. Wenn ich richtig blöd drauf
bin, setz ich mir die Kopfhörer auf und hör mich quer durch die Fledermaus,
dann vielleicht noch ein paar Polkas, und dann ist schon wieder alles nur noch
halb so doof.
Was nun die
Fledermaus-Ouvertüre angeht, ist sie für mich neun Minuten purer Spaß.
Ich hatte das
Glück, die Ouvertüre schon mehrfach spielen zu dürfen, in großem Orchester und
zuletzt in Quintettbesetzung; letzteres ist wahnsinnig lustig, ich würde aber
immer die große Besetzung vorziehen. Musikalisch ist sie natürlich von vorne
bis hinten ein bisschen überzogen, aber genau das macht für mich den Charme aus.
Die klassische/orchestrale Musik ist voll von komplizierten, tiefsinnigen
Stücken, die man stundenlang analysieren kann und die man erst ewig proben und
zerdenken muss, bis sie für einen Sinn ergeben. Die Fledermaus-Ouvertüre ist
definitiv keines dieser Stücke – und trotzdem wird sie mir auch beim
zwanzigsten Spielen und beim zweihundertsten Anhören nicht langweilig. Sie ist
einfach von vorne bis hinten voll von charmanten kleinen Scherzen, die übrigens
auch von jedem Dirigenten ein bisschen anders interpretiert werden und die auch
beim fünfzigsten Mal noch Spaß machen. Wie ein Insider mit einem guten Freund, über
den man still und heimlich in sich hineingrinsen muss.
Es fängt schon
am Anfang an – eine Sache, die ich glaube ich immer lustig finden werde, ist
eine absichtliche, brutale „Bremse“ in der Musik, hier zum Beispiel nach 0:24,
und noch mehr nach 1:01, mit dem demonstrativen Aufgang in den Streichern und
dann dem plötzlichen Tempowechsel bei 1:08. (Bei ca. 1:49 macht er es noch mal.
Ja, nee, es wird niemals alt werden.)
In der
Fledermaus-Ouvertüre kann ich mich auch nie entscheiden, welches der verbauten
Themen mir am besten gefällt. Das erste startet etwa bei 1:58 und ist so
richtig Salonorchester. Stellt euch ein nettes kleines Streichorchester vor,
während überall im Saal vornehme Herrschaften speisen. In diesem Zusammenhang
bekommt es allerdings einen leisen ironischen Anflug.
Dann kommt bei
3:05 natürlich der großartige Fledermaus-Walzer. Man nennt Johann Strauss II
nicht umsonst den Walzer-König – das ist ein Wiener Walzer, wie er im Buche
steht, von den Wiener Philharmonikern natürlich auch wundervoll zelebriert, so
wie es sich gehört. Ich bin insgesamt nicht der allergrößte Walzer-Fan, aber
den aus der Fledermaus finde ich sehr ansteckend, muss ich sagen.
Wer übrigens
nach 4:29 ganz genau auf die Klarinette hört – das ist etwas, was ganz
charakteristisch in die Klarinettenstimme notiert wird. Schöne gebrochene
Akkorde hoch und runter als Begleitung für die schöne schmalzige Melodie in
Oboe oder Geigen. Ist auf der Aufnahme zugegebenermaßen schwierig zu hören.
Das Thema ab
5:42 ist übrigens ein heißer Anwärter auf mein Lieblingsthema aus der
Fledermaus. In der Operette wird auf diese Melodie der Text „oh je, oh je, wie
rührt mich dies“ gesungen, allerdings in einem herrlich ironischen
Zusammenhang.
So ab 8:33 etwa
ist alles nur noch am Eskalieren und niemand gibt mehr irgendeinen Fick auf
irgendwas, weil es sowieso zu schnell für die Hirnkapazität ist. Wenn man es
selbst spielt, hat das zur Folge, dass man sich am Ende nach dem Schlusston ein
bisschen so fühlt, als wäre man gerade aus einer Achterbahn ausgestiegen: man
ist sich nicht ganz sicher, was gerade passiert ist, aber es war irgendwie
lustig.
Besondere Erwähnung
finden soll in diesem Zusammenhang noch die Stelle ab 8:51 mit der abartigen
Piccolo-Stelle. (Für alle Nicht-Musiker: Die Piccolo ist das, was absurd hoch
und absurd schnell über allem anderen drüber tanzt.) Damals, so zu Anfang
meiner Symphonieorchester-Karriere, als ich eigentlich noch viel zu schlecht
und unerfahren war, hatte ich das große Privileg, mit einer unglaublich
talentierten Piccoloflötistin zusammen zu spielen. Liebe Christine, für den
unwahrscheinlichen Fall, dass du das hier liest: diese Stelle wird mir für immer
von dir gespielt im Ohr bleiben.
Ich wünsche
jedem Menschen auf dieser Erde, dass er ein Musikstück findet, das ihm so viel
Spaß bereitet, wie mir die Fledermaus-Ouvertüre.
Donnerstag, 1. Dezember 2016
Musikecke: Jonathans Melodie
Vor einer
kleineren Weile habe ich schon mal (laut) darüber nachgedacht, ob ich nicht
einfach regelmäßig ein bisschen über Musik bloggen soll. Ich habe eine relativ
enge Beziehung zur Musik, unter anderem zur Instrumental- und Orchestermusik,
und ich habe immer noch Lust, im Rahmen von diesem Blog ab und zu ein bisschen über meine
liebsten Musikstücke und meine Gedanken und Gefühle zu ihnen zu reden.
Ursprünglich
hatte ich ein derartiges Projekt im November starten wollen, während alle
anderen fleißig NaNo geschrieben haben. Aber das hab ich natürlich wieder nicht
geschafft, und deswegen habe ich mir überlegt, es einfach jetzt im Dezember als
eine Art musikalischen Adventskalender zu machen. Bin mir zwar noch nicht ganz
sicher, wie lange das klappen wird, aber man kann es ja mal versuchen!
Ich würde mich
natürlich freuen, wenn dadurch der eine oder anderen Leser von diesen Posts das
eine oder andere neue Musikstück kennen (und vielleicht schätzen) lernt.
Da es jetzt doch
schon recht spät ist, fange ich für den ersten Dezember ganz kurz und einfach
an, und zwar mit Jonathans Melodie. (Hier verlinkt in der Ouvertüre zum entsprechenden
Film.)
Jonathans
Melodie ist vom Soundtrack zu „Das fliegende Klassenzimmer“ von 2003 und wurde
komponiert von Niki Reiser, einem Schweizer Filmmusikkomponisten, von dem ich
persönlich ein großer Fan bin. Reisers Soundtracks sind in der Regel eher ein
bisschen zurückhaltend, leise und nachdenklich. Es sind keine Soundtracks für
große, actionlastige Blockbuster, aber das müssen sie ja auch nicht immer sein.
Ich finde, Reiser komponiert oft sehr filigran, mit zierlichen Melodien und
begrenzter Instrumentierung – von letzterem bin ich, wie viele wissen, die
schon musikalisch mit mir zu tun haben, oft gar nicht so ein großer Fan. In
diesem Fall dient es aber dem Zweck, und wenn man einen kleinkalibrigen,
nachdenklichen Film dreht, braucht man auch eine kleinkalibrige, nachdenkliche
Musik anstatt schwere Artillerie (= voller Blechsatz und Schlagwerk)
aufzufahren.
Speziell
Jonathans Melodie gefällt mir, weil sie so großartig nicht nur den Charakter
des Films, sondern auch den Charakter der Hauptfigur einfängt. Ich muss
gestehen, ich habe Lücken bezüglich der Kenntnis der Romanvorlage, aber dafür
kenne ich den Film ganz gut. Der Jonathan Trotz aus dem Film ist, trotz seiner
Impulsivität und vielleicht einem kleinen Hang zum Jähzorn, ein sehr
philosophisches Kind. Er zieht so still und leise sein Ding durch irgendwie,
und genau das macht „sein“ Thema auch.
Das Stück ist
hochgradig melodisch und harmonisch stimmig; mir gefallen besonders die Wechsel
zwischen Dur und Moll, die ganz natürlich und fließend passieren. Hier wird
nicht musikalisch etwas Großartiges lautstark angekündigt – aber wenn man genau
hinhört, dann merkt man beim dritten oder vierten Mal, wie filigran und
raffiniert hier doch alles miteinander verflochten ist. Natürlich sind die
großen, pompösen Geschichten spannend, aber der ganze Film hat eigentlich die
Aussage, dass manchmal auch in einer kleinen, individuellen Geschichte etwas
Großartiges liegen kann. Jonathans Melodie hat etwas sehr persönliches an sich,
und deshalb liebe ich sie so. Sie ist ein bisschen melancholisch, ein bisschen
störrisch, ein bisschen neugierig, ein bisschen philosophisch, ein bisschen
verschmitzt, und überspannend über all dem ist sie auch weich und warm und
verspielt. So wie die Gefühlswelt eines Kindes.
Der Film beginnt
tatsächlich mit einem Kästner-Zitat, übrigens, und zwar mit folgendem:
„Wie kann ein
Erwachsener seine Jugend so vollkommen vergessen, dass er eines Tages überhaupt
nicht mehr weiß, wie traurig und unglücklich Kinder bisweilen sein können? Es
ist nämlich gleichgültig, ob man wegen einer zerbrochenen Puppe weint, oder weil
man, später einmal, einen Freund verliert.“
An dieses Zitat
muss ich im Zusammenhang mit ‚Jonathans Melodie‘ immer denken. Der Soundtrack
aus dem Fliegenden Klassenzimmer gehört auf jeden Fall bis heute zu meinen
allerliebsten Filmsoundtracks.
Mittwoch, 2. November 2016
Über Star Trek, Shipping und Identitäten
Ja, ich mach das
jetzt. Ich schreibe jetzt einen Blogpost über meinen ganz individuellen
Zusammenhang zwischen Popkultur, Fandom und Identität. Zumindest ist das das
Thema, was man vielleicht mit zusammengekniffenen Augen, hochgezogenen
Augenbrauen und dem Kopf im 31-Grad-Winkel erkennen kann.
Ich habe überlegt,
wie weit ich ausholen möchte, und in wie weit das hier ein Online-Coming-out
wird. Ich mag das nicht besonders, auf diese Art im Internet über meine
Identität zu reden, à la, das und das und das ist, als was ich mich identifiziere,
und hier ist warum. (Unter anderem weil ich auch nicht der Meinung bin, dass
ich es explizit jedem, der vielleicht mal irgendwie online über meinen Blog
stolpert, auf die Nase binden muss.) Ein Geheimnis ist es aber nicht, und
mittlerweile bin ich gegenüber den meisten relevanten Reallife-Menschen ‚out‘,
also fragt halt einfach, wenn ihr es gerne wissen wollt.
Aber zurück zum
Thema. Lasst mich euch auf eine kleine Zeitreise mitnehmen, und zwar in den Mai
2013.
Als ich gerade
in meinem Twitter-Archiv nach dem genauen Zeitpunkt gesucht habe, war ich fast
ein bisschen überrascht, weil es sich subjektiv anfühlt, als würde es viel
länger als dreieinhalb Jahre zurückliegen. Ich war damals im vierten
Studiensemester, wohnte mit jemandem zusammen, mit dem ich überhaupt nicht auf
einer Wellenlänge war und war dementsprechend häufig alleine in meinem Zimmer.
Mit dem Sozialisieren tat ich mir damals noch schwer(er als heute). Ich hatte
ein bisschen verpasst, mich vom Anfang meines Studiums an in soziale
Aktivitäten einzuklinken und hatte das Gefühl, den Anschluss verloren zu haben;
den Zeitpunkt verpasst, mir auf der Uni einen Freundeskreis aufzubauen. Ich
hatte versucht, einem Orchester beizutreten, war aber beim Vorspielen
durchgefallen und dementsprechend desillusioniert, was meine Musik anbelangte.
Einen Sportkurs hatte ich im Semester davor versucht und nicht durchgezogen.
Für die Uni hatte ich viel zu tun, konnte mich aber nicht dazu motivieren, so
viel zu arbeiten, wie ich es im Nachhinein hätte tun sollen. Das alles trug
dazu bei, dass ich einen Großteil meiner Freizeit vor dem Laptop verbrachte.
Ich war damals im Fanfiction-Bereich ziemlich aktiv, vertrödelte aber auch eine
Menge Zeit auf Youtube und mit diversen Filmen und Serien.
Nun schreibe ich
schon seit einer ganzen, ganzen Weile Fanfiction, und damals, im Mai 2013, sah
meine Einstellung diesbezüglich so fundamental anders aus als heute, dass es
fast lustig ist, wenn es nicht auch ein bisschen traurig wäre. Wenn ich heute
darüber nachdenke, was man alles internalisieren kann, ohne es zu merken…
In erster Linie
hielt ich mich damals für eine ziemliche… nennen wir es „Canon-Puristin“, und
hielt in diesem Zusammenhang das strikte Einhalten des Canon als das Non Plus
Ultra der Fanfiction-Schreibkunst. Ich nutzte diese Einstellung, um auf
ziemlich viele Dinge herabzusehen – aber in erster Linie auf non-canon slash. (Internalisierung
sei Dank.) Slash-Pairings, ja, okay, so weit war ich schon. Aber bitte nur,
wenn es auch im Canon ausbuchstabiert wurde, dass die Charaktere zusammen
waren. Man muss ja nicht immer alles verslashen, wo kämen wir denn da hin.
(2016-Me: an einen guten Ort – please make it gayer.) Dass ich kein Problem mit
einem völlig aus der Luft gegriffenen Hetero-Pairing hatte, fiel mir damals
nicht auf. Hauptsache dem Pairing wurde nicht explizit im Canon widersprochen. Ich
glaube, die Ursachen dafür würden hier den Rahmen sprengen, vor allem auch, weil
ich selbst noch dabei bin, sie auseinander zu bauen. Vermutlich hat es auch in
gewisser Weise mit der Sexualisierung von Slash-Pairings durch (vermutlich in
erster Linie) straighte Autorinnen zu tun. Ein Slash-Pairing (ugh, ich mag den
Begriff nicht, aber er gehört leider zur korrekten fandomgeschichtlichen
Einordnung) war für mich damals automatisch sexuell konnotiert, und mit
jeglicher sexueller Konnotation war ich sowieso überfordert (und mit
Hetero-Pairings war das damals leichter zu umgehen).
Soweit nur mal
zu meinem Hintergrund, den ich im Mai 2013 hatte.
Dann kam Star
Trek: Into Darkness ins Kino.
Auch wenn das
jetzt vielleicht einiges mit persönlichem Geschmack zu tun hat: Ich kam aus dem
Film und war angepisst. Ich war angepisst von Khan, der mir so überhaupt nicht
gefallen hatte. Ich war angepisst vom Rest der Welt, der Benedict Cumberbatch
für seine Rolle über den grünen Klee lobte. Ich war auch 2013 schon ein
bisschen angepisst, dass ein weißer Schauspieler eine Rolle übernommen hatte,
die ursprünglich eine Person of Colour gespielt hatte, und dass der Großteil
der Kritiken ersteren auch noch besser zu finden schien. Ich kam nach Hause und
war so angepisst, dass ich mich aus Prinzip hinsetzen und Zorn des Khan gucken
musste. Anschließend guckte ich dann noch Zurück in die Gegenwart, und dann
dachte ich mir, warum sollte ich eigentlich nicht mal mit der Originalserie
anfangen. So ganz klassisch, ganz von vorne. Nicht dass mir Star Trek so gar
kein Begriff war (meine Mum ist ein Trekkie der ersten Stunde), aber TOS hatte
ich bis dato tatsächlich nur sehr sporadisch gesehen.
Ich wusste
vorher, dass Kirk und Spock ein Pairing sind, das unglaublich viele Leute
shippen, auch wenn mir die Zusammenhänge nicht besonders klar waren. Aber
natürlich war ich im Vorfeld überzeugt, dass mir das sowieso nicht passieren
würde. (Non Canon Slash, ihr erinnert euch. Und schließlich hatte es ja in den
Reboot-Filmen auch gut funktioniert, sie nur als Freunde zu sehen.)
Ich möchte an
dieser Stelle nicht allzu sehr auf die Diskussion eingehen, ob Kirk/Spock nun
Canon ist oder nicht. In erster Linie war es für mich schon nach ungefähr drei
Folgen unmöglich, es nicht zu shippen. Es ging. Einfach nicht. Ich weiß nicht,
ob es Menschen gibt, die TOS ansehen und sich denken, mh, ja, die sind schon
ganz gute Bros oder so. Ich weiß es nicht, ich kann es mir aber wirklich schwer
vorstellen.
Ich glaube,
jetzt bin ich so langsam am Punkt dieses Posts angekommen, denn es folgten
mehrere Dinge. Es klingt immer ziemlich blöd, so Sachen zu sagen wie, „ich hab
Serie XY angeguckt und dabei realisiert, dass ich bi bin“. Und so war es auch
nicht, zumindest nicht ganz so einfach und isoliert von sämtlichen anderen
Einflüssen. Es ist aber wahr, dass ich durch TOS und durch Kirk/Spock
angefangen habe, über einige Dinge näher nachzudenken, die mich sonst
vielleicht noch viel längere Zeit gekostet hätten, oder über die ich – Gott bewahre
– ohne TOS vielleicht nie nachgedacht hätte. Zum einen war da mein erster „Non
Canon Slash Ship“. Ich glaube, das war einfach so eine Art… Tropfen, der das
Fass zum Überlaufen brachte. Eine Art unsichtbare Sperre, die erst überwunden
werden musste, ehe sich völlig neue Perspektiven ergeben konnten. Zum anderen
war da James Kirk: der erste Charakter, der in meinem Headcanon bisexuell war.
Ich habe nie daran gezweifelt, dass sich Kirk zu Frauen hingezogen fühlt, aber
noch weniger habe ich daran gezweifelt, dass er sich hoffnungslos und
unwiderruflich zu Spock hingezogen fühlt. Was diese Erkenntnis für mein
Selbstbild bedeutet hat, kann ich gar nicht in Worte fassen.
Und es gibt noch
eine Sache, an die ich mich ab und zu zurück erinnere, von der ich heute sicher
bin, dass sie ein massiver Schritt in eine neue Richtung war. Ich konnte Spock
als asexuell (oder zumindest Ace-Spektrum) headcanon-en, und ich war in der
Lage, in die Kirk/Spock-Beziehung etwas hineinzulesen, was definitiv mit Liebe,
aber nichts mit sexueller Anziehung zu tun hatte. Ich erinnere mich an eine
Konversation, die ich diesbezüglich hatte, in der ich zum ersten Mal in Worte
fassen konnte, dass für mich eine Beziehung nichts mit Sex zu tun haben muss,
um echt und wertvoll zu sein – und eben trotzdem abzugrenzen von Freundschaft.
Das alles war
vor dreieinhalb Jahren und wurde gefolgt von einer langen, langen Periode, in
der ich verschiedene Labels und Identitäten kennen gelernt habe. Einige davon
habe ich ausprobiert und verworfen. Einige habe ich behalten. Mittlerweile ist
es November 2016 und ich bin an einem Punkt, an dem ich für mich selbst gar
nicht mehr so ganz strikt nach Labels gehen muss, um mich in meiner Identität
zu Hause zu fühlen.
Es klingt ein
bisschen doof, aber dass ich diesen letzten Absatz da gerade schreiben konnte…
ich glaube, das habe ich zu einem gewissen Teil TOS zu verdanken. Nicht dass da
nicht noch eine Menge anderer Dinge mit reingespielt hätten. Aber ich glaube schon,
dass in der Zeit vor dreieinhalb Jahren, in der für mich eine Phase der
Umstrukturierung begonnen hat, TOS einen entscheidenden Anstoß dazu geliefert
hat, dass ich heute sagen kann: ja, ich fühle mich wohl mit meiner Sexualität.
Und das ist der
Grund, warum TOS, und besonders Kirk/Spock, für den Rest meines Lebens einen
ganz besonderen Platz in meinem Herzen belegen wird.
Sonntag, 13. März 2016
Deutschland, deine Zeigefinger
Ich fange diesen Post
jetzt zum vierten Mal neu an. Vielleicht sollte ich einfach akzeptieren, dass
ich nicht hundertprozentig die richtigen Worte finden werde. Weil mich das
Thema aufwühlt. Weil es immens wichtig, aber auch immens groß und schwer ist.
Weil es mir in der Kehle festhängt und sie zuschnürt. Weil es mir Angst macht. Weil ich keine Expertin
bin und vielleicht zu wenig Wissen habe, um darüber zu schreiben.
Aber dieser Blogpost
von Alex und Georg (Beziehungstat) geht mir seit mehreren Tagen nicht aus dem
Kopf, und die Wahlergebnisse des heutigen Tages haben ihr übriges getan.
„Wir sind dankbar für
Persönlichkeiten, die sprechen“, schreiben Georg und Alex, und auch, „man muss
nicht prominent sein, um zu sprechen.“
Ich bin nicht
prominent. Mein Blog hat genau zwei Follower, und vielleicht sind das auch die einzigen beiden Menschen, die diesen Post hier lesen werden. Vielleicht nicht einmal die.
Aber ich möchte reden. Aus dem einfachen Grund, weil ich glaube,
dass egal jetzt vorbei ist. Wenn es dir zu lange egal ist, wird die
Entscheidung irgendwann für dich getroffen. Und soweit lasse ich es nicht
kommen.
Jetzt also Versuch
vier, in der Hoffnung, dass er ein bisschen kohärenter und eloquenter als seine
drei Vorgänger wird.
Es lässt sich immer
viel mit dem Satz „aber ich war’s ja nicht“ klären. Das ist mir in letzter Zeit
aufgefallen. Ich sehe erhobene Zeigefinger an jeder Ecke, und mindestens so
oft, wie sie auf jemanden hinzeigen, zeigen sie von einem selbst weg.
Nicht alle Sachsen sind
AfD-Wähler. Nicht alle AfD-Wähler sind Nazis. Nicht alle Nazis vergasen
Andersdenkende.
Und heute: Nicht NUR
Ostdeutschland. Auch Baden-Württemberg hat die AfD gewählt, und zwar nicht zu
knapp.
Das sind so Argumente,
auf die mir immer zwei Antworten einfallen. Erstens: Ja, ich weiß. Zweitens:
Warum sagst du mir das jetzt gerade?
Es ist immer ganz
einfach, es nicht gewesen zu sein. Damit gehört man sogar zur Mehrheit – noch,
gottseidank – in Sachsen-Anhalt haben heute mehr als drei Viertel der Wähler
die AfD NICHT gewählt. Das ändert nur nichts an der Tatsache, dass auch für
diese drei Viertel, die es nicht waren, die Entscheidung des übrigen Viertels
relevant und aktuell ist.
Für den Flüchtling aus
dem Kriegsgebiet, für die Muslimin mit Kopftuch, für die junge Frau, die
endlich mit ihrer Lebensgefährtin auf der Straße Händchen halten möchte, ist es
jetzt, in diesem Moment, egal, wer zu den 23 Prozent gehört und wer zu den 77.
Was nicht egal ist, ist, dass die 23 Prozent da sind. Für den Flüchtling, für
die Muslimin, für das lesbische Mädchen, und für uns alle anderen auch.
Ist das jetzt wirklich
der richtige Zeitpunkt, sich selbst davon zu distanzieren?
Wohnt ihr alle, die es
nicht waren, nicht im selben Land? Geht euch das Ergebnis nichts an, auch wenn
ihr vielleicht nicht direkt daran beteiligt wart?
Verdammt, ich sehe so
viele Anschuldigungen und Gegenanschuldigungen, und sie machen mich traurig und
wütend. Nicht ganz so traurig und wütend wie das Wahlergebnis, aber fast
genauso sehr.
Da hat in vier
Bundesländern eine Partei einen zweistelligen Prozentanteil bei den Landtagswahlen
erreicht, die blatant rechtspopulistisch ist, und wir sind alle zu sehr damit
beschäftigt, es nicht gewesen zu sein.
Ich verstehe den Frust
über Pauschalanschuldigungen. Ich verstehe den Wunsch, sich davon zu
distanzieren, wenn jemand sagt, „meine Güte, Sachsen-Anhalt“. (Sorry,
Sachsen-Anhalt, dass ihr gerade mein Beispiel sein müsst.)
Pauschalanschuldigungen sind nicht zielführend. Pauschalanschuldigungen können
sogar gefährlich sein. Ich möchte nicht ins Detail gehen, was meiner Meinung
nach alles mit dem Satz „AfD-Wähler sind halt dumm“ falsch ist, aber unter
anderem vereinfacht und verharmlost er ein sehr komplexes Thema. Wenn man sich
selbst intellektuell überlegen fühlt, nimmt man sein Gegenüber automatisch
weniger ernst. Aber wenn uns die vergangenen Wahlen wohl eins gezeigt haben,
dann dass man die AfD sehr wohl ernst nehmen muss.
Auf eine
Pauschalanschuldigung allerdings mit „nicht ALLE xyz“ zu reagieren, ist genauso
wenig zielführend. So dreht sich die Diskussion im Kreis. Niemand will es
gewesen sein. Niemand fühlt sich zuständig.
Dabei geht es alle
etwas an.
Die deutsche Politik
wandert langsam aber sicher immer weiter nach rechts. Und das ist Realität für
alle. Für alle AfD-Wähler, für alle Nicht-AfD-Wähler, für alle Nicht-Wähler.
Was man daraus jetzt
macht, ist jedem und jeder selbst überlassen.
Mir bleibt nur die
Frage, ob das krampfhafte Es-Nicht-Gewesen-Sein in irgendeiner Weise einen Benefit
bringt.
Ich weiß nicht.
Vielleicht ist dieser
Post genauso ein Zeigefinger, wie ich sie nicht mehr sehen kann. Vielleicht
sehe ich das auch alles falsch. Vielleicht ist es ja in einer Weise wichtig zu
sagen, Moment, ich war das aber nicht, und auch nicht alle Sachsen, oder alle
Baden-Württemberger, oder alle Hessen, oder überhaupt alle Deutschen.
Nur, wenn man’s nicht
gewesen ist und es trotzdem passiert – wie geht’s dann weiter? Ich glaube, das
ist im Moment die wichtigere Frage.
Freitag, 22. Januar 2016
Irgendwas ist immer
Mitte Februar – vom 19.
bis zum 22. – fahre ich zum ersten Mal seit Jahren in den Skiurlaub.
(Sorry, ich muss meine Analogie auf meinem Skiurlaub aufbauen, hauptsächlich, weil ich mich saumäßig drauf freue. :D Bärt mit mir.)
(... meine Wortwitze waren auch schon mal besser... mh... MOVING ON!)
Skifahren war eine
Sache, die ich früher mit der Familie gemacht habe, und die wir vier alle wirklich
ausnahmslos gerne gemacht haben. Wir sind damals meistens eine Woche gefahren,
manchmal sogar zwei am Stück, und eigentlich immer in ziemlich große,
vielseitige Skigebiete. Das konnten meine Eltern immer ziemlich gut –
vielseitige, aktivitätsreiche Urlaubsorte raussuchen und das Jahr über
haushalten, sodass wir uns im Winter und Sommer jeweils was Cooles leisten
konnten.
Ich plane jetzt einen
Skiurlaub von zweieinhalb Tagen. Das ist weniger als halb so lange, wie ich
eigentlich gerne gefahren wäre, aber für mehr reicht einfach das Geld nicht,
die Zeit schon gar nicht – und ich hätte niemanden gefunden, der für mehr als
zweieinhalb Tage mit mir Ski fährt.
Zum ersten Mal, seit
ich alleine lebe, habe ich das Geld und die Zeit für einen Skiurlaub auftreiben
können, und dann habe ich keinen gefunden, der mit mir mitkommen wollte. „Keine
Zeit“, meinten die einen. „Kein Geld“, meinten die anderen. Blödes Timing.
In diesem Zusammenhang –
wenn wir schon vom Timing sprechen – habe ich neulich ein Video von einer
Youtuberin gesehen, in der sie und ihre Freundin (jetzt Verlobte) von ihrem
Heiratsantrag sprechen, und in dem Video fiel der Satz „irgendwas ist immer“.
(Sinngemäß zumindest, das Video ist auf Englisch.)
Und ich hab in den
letzten Tagen ziemlich viel über diesen Satz nachgedacht.
Es stimmt schon.
Irgendwas ist immer.
Entweder man hat kein
Geld, oder man hat keine Zeit, oder man hat niemanden, mit dem man ein Projekt
durchziehen kann und alleine will man nicht. Ich merke das so oft an mir
selbst. Mir kommen tausend Ideen für Dinge, die ich gern machen würde, aber
irgendwie wird nie was draus, weil mir im nächsten Atemzug tausend Gründe
kommen, die dagegen sprechen.
Ich würde gerne mein
Französisch vernünftig auffrischen… aber die Sprachkurse sind so teuer, und für
französische Bücher und Filme bin ich dann meistens auch zu geizig; überhaupt
lese ich ja in letzter Zeit so wenig, die stehen dann hier sowieso nur rum.
Ich würde gerne mal
Parkour als Sportart ausprobieren, und donnerstags um 18 Uhr gibt’s da eine
Gruppe, die für alle offen ist… aber dann war ich den einen Donnerstag krank,
am nächsten musste ich arbeiten, am übernächsten ist ein Konzert, jetzt liegt
Schnee und es ist sauglatt, und so richtig trauen tu ich mich auch nicht, in
eine bestehende Gruppe einfach einzusteigen…
Ich würde gern dieses
und jenes Musikinstrument lernen – aber holy shit, wisst ihr, wie teuer
Musikunterricht ist?! Und überhaupt, wäre es dann nicht viel eher sinnvoll, mir
erst mal wieder Klarinetten- oder Klavierunterricht zu nehmen, um die
Instrumente, die ich schon spiele, aufzupolieren?
…
Die Liste geht weiter.
Ich würde gerne im praktischen Jahr ins Ausland, aber. Ich würde gern
Paläontologie studieren, aber. Ich würde gern ein Musiktherapie-Studium
ranhängen, aber.
Irgendwas ist halt
immer, und die meisten Ratgeber für glückliches Leben oder wasauchimmer halten
es mit Shia LaBeouf – just do it! Mach es doch, wenn es dir wichtig ist! Klemm
dich dahinter, schmiede dir dein Glück selbst! Wenn du es wirklich willst, dann
findest du auch einen Weg.
Aber in der Realität
geht’s so einfach halt auch nicht.
In der Medizin gibt es
den Begriff der Indikationsstellung; das ist eine Abwägung von Risiken und
Nutzen einer Therapie. Cortison ist ein hochwirksames Medikament, das bei
vielen Krankheiten schnell und effektiv Linderung verschafft. Andererseits hat
Cortison auch ultra-viele Nebenwirkungen, deswegen wird niemand im
Shia-LaBeouf-Style – „just do it“ – jedem Patienten ohne Rücksicht auf Verluste
Cortison reinpumpen.
So ähnlich ist es
irgendwie auch im Leben, habe ich das Gefühl. Auf der einen Seite gibt’s den
Nutzen – die Sache möchte ich machen, die wäre gut für mich, die fände ich
interessant, die würde mich glücklich machen. Und dann gibt’s die Risiken –
aber es kostet Geld, aber es kostet Zeit, aber es passt nicht in meine
Lebensumstände. Man muss sich da oft selbst eine Indikation stellen und sich
fragen: klappt das oder klappt das nicht? Und das ist eine Sache, die ich
persönlich schwierig finde und die man, glaube ich, auch erst lernen muss. Weil
eben früher andere Leute das für einen getan haben.
Oder vielleicht ist das
auch ein bisschen mein Privatproblem. Ich kenn einige Leute, die tatsächlich
oft einfach machen, und irgendwie klappt’s dann auch.
Muss ich einfach
mutiger werden? Muss ich mich mehr anstrengen und darf mich nicht so leicht
verunsichern lassen, wenn ich auf Hindernisse treffe?
Irgendwas ist immer.
Aber was davon ist wirklich, und was davon ist nur eine Fehleinschätzung bei
der Indikationsstellung?
Ich glaube, das ist
eine der Sachen, die ich 2016 rausfinden möchte.
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